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AutorenbildMathias Stricker

Arbeit wandelt sich – Bildung bleibt das Fundament

Der Fachkräftemangel ist bekanntlich ein brennendes Problem. Rekrutierungsschwierigkeiten gibt es mittlerweile in fast allen Branchen besonders brisant im Gesundheitswesen, im Gastgewerbe, in der Informatik, in der Industrie. Auch in den Schulen gibt es Handlungsbedarf. Der Kanton Solothurn reagiert – angestossen durch die involvierten Verbände – mit einem Aktionsplan «Volksschule stärken». Ziel ist es, mit kurz- und langfristigen Massnahmen den Lehrer*innenberuf attraktiv zu gestalten und mit den anderen Kantonen konkurrenzfähig zu bleiben.


Liegt die Ursache für den Fachkräftemangel im Niedergang der Arbeitsmoral, insbesondere bei jüngeren Generationen, wie häufig behauptet wird? Das denke ich nicht.


Die Arbeit hat sich in der Geschichte vielfach verändert. In den Anfängen der Indu-striealisierung haben die Fabrikarbeiter*innen bis zu 80 Stunden pro Woche gearbeitet. Die Arbeitsstunden sanken – dank dem technischen Fortschritt – und dennoch stieg die Produktivität. In der Schweiz hat sie sich den letzten 50 Jahren verdoppelt. Für die gleiche Leistung und für den gleichen wirtschaftlichen Erfolg benötigen wir nur noch halb so viele Arbeitsstunden. Wir arbeiten nicht weniger, im Gegenteil. Das Arbeitsvolumen in der Schweiz ist allein im Jahr 2022 um 1,3% gestiegen. Wir haben eine der höchsten Erwerbsquoten aller OECD-Ländern. 71,9% beträgt der durchschnittliche Beschäftigungsgrad.


Wir haben den höchsten Anteil an Teilzeit Arbeitenden, das ist keineswegs negativ. Das bedeutet einfach, dass die Arbeit auf mehr Köpfe verteilt ist. So sind bei uns die Frauen teilweise viel stärker in den Arbeitsmarkt integriert als andernorts. Für mich ist klar: Teilzeitarbeit bedeutet keine Verschärfung des Fachkräftemangels, sondern ist Teil der Lösung. Wir werden künftig anders arbeiten. Digitalisierung und Automatisierung verändern die Berufswelt. Expertinnen und Experten sagen, dass bis 60% der heutigen Jugend in Berufen tätig sein werden, die es noch gar nicht gibt. Es betrifft junge Menschen, die jetzt erstmals in den Arbeitsprozess einsteigen. Sie wissen, dass sie ihr Leben lang lernen und ihre Kompetenzen immer weiterentwickeln müssen. Auch die neue strategische Botschaft von Bildung, Forschung und Innovation des Bundes nimmt Bezug darauf, indem das lebenslange Lernen betont wird.


Welche Hebel gäbe es, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen? Mein Engagement gilt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das stärkt die Wirtschaft und entlastet den Staat langfristig. Fehlende Betreuungsplätze und die Kosten aber auch nicht fortschrittliche Schulstrukturen sind häufig Grund für eine geringe oder gar den Verzicht auf Erwerbstätigkeit. Ein weiterer, eminent wichtiger Ansatz ist, das Potenzial aller bei uns lebenden Menschen zu erkennen und auszuschöpfen. Faire Bildungschancen müssen auf allen Stufen unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft gewährleistet werden. Es braucht mehr öffentliche Gelder, um Zweit- und Weiterbildungen zu unterstützen und auch, um ältere Arbeitnehmende im Arbeitsmarkt zu halten. Es fällt auf, dass bei den 55- bis 64-Jährigen nur noch 72 Prozent erwerbstätig sind.


Politik und Wirtschaft sind kantonal und national gefragt – mit klugen Ideen und schnellem Handeln, denn Bildung ist nach wie vor das stabilste Fundament für eine starke, funktionierende Gesellschaft.


Standpunkt LINKS Nr. 209 Okt. 2023

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