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AutorenbildMathias Stricker

Roland Misteli und Mathias Stricker im Schulblatt-Gespräch zum Schulanfang 20/21

Wie kann der Schulstart für Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler glücken? Welches sind zentrale Themen für den LSO?

Susanne Schneider: Das Thema dieser SCHULBLATT-Ausgabe ist «Schulstart». Werden bei euch Erinnerungen wach? Roland Misteli: Der erste Schultag oder der Start in ein neues Schuljahr ist sicher für viele Kinder, Jugendliche, Eltern und Lehrpersonen etwas Besonderes, ein Moment, der herausragt, der Beginn von etwas Neuem. Ich habe aber keine Erinnerungen, wie ich diesen Moment als Schüler wahrgenommen habe. Wenn ich an meine Zeit als Lehrer zurückdenke, tauchen einzelne vage Bilder auf. In Zuchwil etwa war es früher Ritual, dass die Erstklässler am ersten Schultag mit ihren Eltern in die Turnhalle kamen, wo sie vom Schulverwalter aufgerufen wurden und dabei hochoffiziell erfuhren, in welches Schulhaus und in welche Klasse sie eingeteilt würden. Mathias Stricker: Mir geht es wie Roland, an meinen ersten Schultag als Schüler kann ich mich nicht mehr erinnern und ich weiss auch nicht mehr, ob der Start in ein jeweils neues Schuljahr für mich von besonderer Bedeutung war. Dass es sich aber für die Kinder um einen speziellen Moment handelt, wird mir immer wieder bewusst, wenn ich alle zwei Jahre eine neue 5. Klasse willkommen heisse und dabei in die erwartungsvollen Gesichter der Kinder blicke. Für mich als Lehrer ist der Schulstart immer auch im Rückblick wichtig, sprich, wenn ich mir nach zwei Jahren gemeinsamer Wegstrecke die Entwicklung der Kinder vergegenwärtige. Das bringt mich selbst nach vielen Jahren zum Staunen. Sicher nicht förderlich für einen erfolgreichen Schulstart ist der sich zuspitzende Lehrerinnen- und Lehrermangel. Mathias Stricker: Das ist tatsächlich ein Problem, das den LSO beschäftigt und das es zu lösen gilt. Ziel muss sein, dass Lehrpersonen eine adäquate Ausbildung haben und sie jene Fächer und auf jener Stufe unterrichten, für die sie ausgebildet sind. Nur so können sie ihr didaktisches und pädagogisches Know-how optimal entfalten. Roland Misteli: Mathias spricht den qualitativen Lehrerinnen- und Lehrermangel an, dessen Auswirkungen von der Politik noch immer zu wenig wahrgenommen werden. Das neue Schuljahr hat eben begonnen und natürlich steht vor jeder Klasse irgendjemand, der die Schülerinnen und Schüler unterrichtet. In zu vielen Fällen handelt es sich dabei um Personen, die zwar einen didaktisch-pädagogischen Rucksack mitbringen, einen Rucksack aber, der nicht die auf die Stufe und Fächer zugeschnittenen Utensilien enthält. Auf diese Weise findet ein schleichender Qualitätsabbau statt. Neben dem qualitativen Lehrerinnen- und Lehrermangel haben wir zunehmend einen quantitativen Mangel an Lehrpersonen. Wegen der steigenden Schülerzahlen benötigen wir in Zukunft mehr Lehrpersonen, die eine Klasse führen können. Stichwort mangelndes Bewusstsein seitens der Politik für den qualitativen Lehrermangel: Kantonsrat Georg Nussbaumer kritisierte in seiner Interpellation die Ausbildung an der PH FHNW dafür, dass die Studierenden Fachbereiche abwählen müssen und somit bei Abschluss nicht über alle nötigen Kompetenzen verfügen. Mathias Stricker: Die Antwort der Regierung auf diese Interpellation gibt zu denken, da die Regierung keinen Handlungsbedarf erkennt und sich damit zufrieden gibt, dass man die während der Ausbil-dung abgewählten Fachbereiche nachholen kann. Die Abwahlpflicht von Fachbereichen wurde in der Debatte des Kantonsrates von fast allen Parteien kritisiert. Nehmen wir als Beispiel das Fach Französisch auf Primarstufe: Wie zeigen sich hier der qualitative und quantitative Lehrer-mangel? Mathias Stricker: Am fehlenden Nachwuchs. Viele PH-Studierende entscheiden sich beim Fremdsprachenblock für Englisch und wählen ergo Französisch ab. Roland Misteli: Aufgrund dieser Rekrutierungsprobleme stellen Schulen zum Beispiel native Speaker ein, die zwar fachlich kompetent, aber in pädagogisch- didaktischen Fragen oft nicht genügend ausgebildet sind, um einen erfolgreichen Unterricht in einer Klasse zu gewähr-leisten. Es stellt sich zunehmend die Frage, wie lange die Volksschule noch in der Lage sein wird, im Zyklus 2 zwei Fremdsprachen anbieten zu können. Was wäre ein möglicher Lösungsansatz? Roland Misteli: Ein vielversprechender Ansatz wäre ein dreijähriger Bachelor zur Fachlehrperson. Anschliessend könnte im Master-Studium die Kompetenz als Klas-senlehrperson erworben werden. Mathias Stricker: Ein solches Studium würde einerseits die Funktion der Klassenlehrperson aufwerten und andererseits die Aufgaben der Klassenführung und des Klassenmanagements honorieren. Roland Misteli: Zudem bestünde die Möglichkeit eines sanfteren Einstiegs in den anspruchsvollen Lehrberuf, da mit dem Bachelor Unterrichtserfahrungen als Fachlehrperson möglich würden, ohne sich vorerst mit den umfassenden Aufgaben einer Klassenlehrperson auseinandersetzen zu müssen. Wo zeigt sich der quantitative und qualitative Lehrermangel besonders deutlich? Mathias Stricker: Sicher in der Heilpädagogik, Logopädie und im Fach Französisch, aber auch in den musisch-kreativen Fachbereichen. Roland Misteli: Neben diesen Fachbereichen wird die Stellenbesetzung insbesondere auf der Sek 1-Stufe durch bestimmte Fächerkombinationen erschwert. Nicht selten bewerben sich Lehrpersonen mit exotischen Fächerkombinationen, denen kaum ein sinnvolles Pensum angeboten werden kann. Eine Pensionierungswelle rollt heran, die Schülerzahlen steigen und Lehrpersonen kehren dem Beruf bereits nach kurzer Zeit den Rücken zu. Wie kann man diesem Umstand entgegenwirken? Mathias Stricker: Das ist eine nationale Problematik. Der Kanton Solothurn steht im Vergleich zu anderen Kantonen gut da, weil sich unsere Löhne sich noch im vorderen Drittel befinden. Damit das so bleibt, müssen wir aber in Bewegung bleiben, gerade auch weil sich in anderen Kantonen wie Bern und Aargau in der Lohnfrage etwas tut. Sobald der Kanton sparen muss, besteht immer auch die Gefahr, dass unsere Löhne gefährdet sind. Roland Misteli: Der Kanton Solothurn muss tatsächlich aufpassen, dass ihm nicht dasselbe passiert wie dem Kanton Aargau, der aufgrund der höheren Löhne in den umliegenden Kantonen Zürich, Basel und Solothurn in ein Loch fiel und zu wenig Lehrpersonen rekrutieren konnte. Mit dem neuen Lohnsystem will der Kanton Aargau nun den Anschluss wieder schaffen. Der LSO hat mit dem Verband der Solothurner Schulleiterinnen und Schulleiter eine Arbeitsgruppe zur Attraktivitätssteigerung gebildet. Wo steht man hier? Roland Misteli: Wir sind sehr intensiv in die Arbeit eingestiegen, um zu eruieren, was die attraktiven und was die weniger attraktiven Seiten des Berufs sind. Corona hat uns vorübergehend einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wenn die Analyse abgeschlossen ist, werden wir in einem weiteren Schritt mögliche Handlungsfelder definieren und den Kontakt mit dem Volksschulamt und dem Verband der Einwohnergemeinden suchen. Müsste das Problem nicht national angegangen werden? Mathias Stricker: Zwar nimmt sich der LCH der Thematik an und erstellt gewisse Grundlagenpapiere, aber die Interessen der einzelnen Kantone und Hochschulen unterscheiden sich. Da die Schulhoheit kantonal geregelt ist, stehen die Kantone unter Konkurrenz und buhlen um die Lehrpersonen. Und auch die PHs stehen im Wettbewerb zueinander und buhlen ihrerseits um die Studierenden. Wenn also die Frage nach der Attraktivität kantonal geregelt werden muss: Was macht unseren Kanton attraktiv? Roland Misteli: Zum Beispiel haben wir einen GAV, der eine bessere Mitsprache gewährleistet und höhere Anstellungssi-cherheit bietet. Diesen gilt es zu verteidigen gegen jene Stimmen, die ihn immer wieder infrage stellen und beispielsweise verlangen, dass für die einzelnen Personalgruppen unterschiedliche Verträge mit spezifischen Rahmenbedingungen ausgehandelt werden sollen. Das wäre ein Rückschritt in jene Zeit, als es noch keinen GAV gab und die einzelnen Berufsgruppen gegeneinander ausgespielt werden konnten. Roland hat den anspruchsvollen Berufseinstieg erwähnt. Tatsächlich ist es ja so, dass viele Lehrpersonen dem Beruf bereits nach wenigen Jahren den Rücken zukehren. Mathias Stricker: Das ist sicher auch vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Wandels einzuordnen und betrifft nicht ausschliesslich den Lehrberuf. Man will nach ein paar Jahren in einem Beruf etwas anderes ausprobieren, sich weiterent-wickeln. Da der Lehrberuf aber keine klassischen Karrieremöglichkeiten oder einen grundsätzlichen Richtungswechsel zulässt, besteht die Gefahr, dass sich die Leute gänzlich aus der Unterrichtstätigkeit verabschieden. Roland Misteli: Umso wichtiger ist, dass sie mit positiven Erfahrungen aussteigen, sodass die Möglichkeit besteht, dass sie wieder zurückkommen. Welche Bedeutung kommt dabei dem begleiteten Berufseinstieg zu? Mathias Stricker: Der begleitete Berufseinstieg ist sehr wichtig und aus unserer Sicht ein Muss. Die Frage ist, wie dieser aussieht und wie er schliesslich umgesetzt wird. Aufgrund von Sparmassnahmen wurde ein ursprünglich gutes Modell vor zirka zehn Jahren sukzessive aufge-hoben. Das jetzige Mentoratssystem in unserem Kanton ist noch jung und wurde aufgrund eines Kantonsratsentscheides eingeführt. Roland Misteli: Wenn das jetzige Modell gut umgesetzt wird, kann es funktionieren. Es zeigt sich aber, dass die Umsetzung ganz unterschiedlich praktiziert wird. Diese hängt im Wesentlichen davon ab, welchen Stellenwert die Schulleitun-gen dem Berufseinstieg einräumen und welches Rollenverständnis die Mentorinnen und Mentoren haben. Mathias Stricker: Im Übrigen gibt es grosse kantonale Unterschiede, was den Umgang mit begleiteten Berufseinstiegen angeht. Es gibt Kantone wie zum Beispiel der Aargau, der keinen begleiteten Berufseinstieg kennt, und Kantone wie zum Beispiel Basel-Stadt, die diesem Thema viel mehr Bedeutung beimessen. Gibt es andere Punkte in Zusammenhang mit dem Schulstart, auf die der LSO sein Augenmerk richtet? Mathias Stricker: Der Schulstart beginnt ja mit dem Eintritt in den Kindergarten als Teil der Volksschule. Die Fraktion der Kindergarten-Lehrpersonen setzt sich dafür ein, dass die Kindergartenlehrpersonen für die erste Zeit im ersten Kindergartenjahr Unterstützung erhalten, insbesondere auch, weil die Kinder jünger sind. Diese Unterstützungsaufgaben könnten zum Beispiel von PEPs übernom-men werden. Da die Bedürfnisse von Gemeinde zu Gemeinde ganz unterschiedlich sind, braucht es flexible Lösungen. Auch die Frühförderung ist ein wichtiges Anliegen, also vor allem die Förderung der Deutschkenntnisse vor dem Eintritt in den Kindergarten, sodass die Chancengerechtigkeit beim Start in die Volksschule gegeben ist. Hier ist ein kantonales Projekt am Laufen. Roland Misteli: Und schliesslich setzen wir uns aktuell dafür ein, dass Schulen zusätzliche Ressourcen erhalten, wenn sie bei Schülerinnen und Schüler aufgrund des Fernunterrichts Defizite wahrnehmen. Der LSO startet zwar in kein neues Schuljahr, aber in ein neues Geschäftsjahr: Welche Themen werden den Verband besonders beschäftigen? Mathias Stricker: Wir haben zum einen verbandsinterne Aufgaben, die uns beschäftigen, zum Beispiel die Umstrukturierung der Fraktionen, und zum anderen haben wir verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, zum Beispiel die AG Heterogenität oder die AG Klassengrössen, in denen wir arbeiten. Weitere wichtige Themen sind die Beurteilung Zyklus 1 oder die Nachführung des Volksschulgesetzes. Die zweijährige Sek P als Spezifikum in der Schweizer Schullandschaft wird Thema bleiben. Wir wollen zudem die Zusammenarbeit zwischen der Sek I und Sek II intensivieren. Die Digitalisierung wird uns weiterhin beschäftigen. Bei der Inte-gration erwarten wir eine grossangelegte Auswertung durch das Volksschulamt. Und schliesslich stehen die weiteren Auswirkungen der Corona-Epidemie im Zentrum unserer Arbeit. Wenn wir beim Thema Start sind: Vor einem Jahr hat Mathias sein Amt als LSO-Präsident angetreten. Könnt ihr Einblick geben in eure Zusammenarbeit? Roland Misteli: Diese klappt reibungslos und effizient, der Übergang war fliessend. Dass wir uns zudem sehr gut verstehen, macht die Zusammenarbeit sehr angenehm. Mathias Stricker: Dem ist nichts hinzuzufügen – ausser dass ich feststellen darf, dass die Zusammenarbeit auch in den verschiedenen LSO-Gremien hervorragend klappt.

Schulblatt 13/2020

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